Falls Sie von diesem Blog bzw. dieser Webseite Informationen entnehmen und weiterverwenden wollen, wird darum gebeten, die Hinweise in diesem Beitrag zu beachten. Bitte beachten Sie auch, dass die hier aufgeführte Beschreibung der Begriffe Transgeschlechtlichkeit, Transsexualität, Transidentität, transgender oder nicht-binär nur eine mögliche Beschreibung bzw. Definition darstellt. Es kann also sein, dass sich eine Person als transident, eine andere als transsexuell und wieder eine andere als transgender bezeichnet. Es gibt kein richtig oder falsch, es ist immer eine Selbstaussage eines Menschen zum eigenen Geschlecht.
Es wird deshalb an alle Lesenden appelliert, die Selbstaussage eines Menschen zu seinem eigenen Geschlecht zu akzeptieren.
Warum Sprache so wichtig ist…
„Die Art und Weise wie wir sprechen, prägt unsere Sichtweise auf die Welt, die Muster, in denen wir denken und wahrnehmen. Sprache schafft – Phrase, aber trotzdem wahr – Bilder im Kopf, sie liefert einen Rahmen, in dem wir reflektieren und unsere Meinungen entwickeln.“
Julian Dörr, aus „Gewalt gegen Frauen ist Gewalt von Männern“, Süddeutsche Zeitung online, 26.12.2017
Es ist den meisten Menschen nicht bekannt, dass das, was wir lesen, hören oder sehen, von unserem Gehirn nicht ausschließlich rational verarbeitet und interpretiert wird. Die Mehrzahl aller Informationen und medialen Reize verarbeitet unser Gehirn unterbewusst und nach sog. Heuristiken (Kahneman, 2011). Diese Heuristiken sind im Grunde „Regeln“, die wir im Laufe unseres Lebens gelernt haben oder auch in unserem Gehirn von Natur aus fest verankert sind, weil sie sich im Laufe der menschlichen Entwicklung als hilfreich, sinnvoll oder sogar lebensrettend bewährt haben. Die Heuristiken helfen uns, Wahrscheinlichkeiten von Eigenschaften und Ereignissen zu bewerten, wie genau diese einem bestimmten Muster entsprechen. Die Heuristiken führen jedoch nicht selten zu Fehlern bzw. Fehleinschätzungen.
Neben den Heuristiken benutzt der Menschen mentale Strukturen (Schemata), die sein Wissen über die soziale Welt ordnen. Die mentalen Strukturen haben Einfluss auf die Informationen, die wir abspeichern. Wenn sich Schemata auf Mitglieder einer sozialen Gruppe, eines Geschlechts oder einer Ethnie beziehen, bezeichnet man sie gemeinhin als Stereotype (Aronson et. al., 2008). Diese Schemata sind für den Menschen nützlich und wichtig, um unsere Umwelt zu ordnen, ihr einen Sinn zu geben und um unsere Wissenslücken zu schließen. Sie sind dann besonders wichtig, wenn wir mit Informationen konfrontiert werden, die auf unterschiedliche Weise interpretiert werden können. Sie helfen uns, die Mehrdeutigkeit zu reduzieren (Aronson et. al., 2008). Solange wir Grund zu der Annahme haben, dass unsere Schemata korrekt sind, ist es völlig vernünftig, sie anzuwenden, um Mehrdeutigkeiten zu klären (Aronson et. al, 2008).
Stereotype
Stereotype im Allgemeinen sind persönliche Überzeugungen bzw. Erwartungen bzgl. der Merkmale und Eigenschaften von Menschen oder Gruppen, welche wir auf diese Person(en) übertragen oder beziehen und als für diese Person(en) vermeintlich typisch erachten. Stereotype können als Wissen, welches sozial übermittelt und kulturell geteilt wird beschrieben werden. Die Zuordnung eines Stereotyps auf eine Person verläuft in der Regel sehr schnell, automatisch und unterbewusst sobald wir anderen Personen begegnen. Daniel Kahneman weist diese automatisierten Vorgänge in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ dem „System 1“ unseres Gehirns zu. Die Gedankenprozesse im „System 1“ erfolgen automatisch, unbewusst, sehr schnell und weitgehend mühelos. Es ist immer aktiv, kann nicht abgeschaltet bzw. deaktiviert werden, funktioniert ohne willentliche Steuerung und arbeitet Wahrnehmungen und Reize stereotyp ab. Bezüglich der Verwendung von Stereotype können diese Fehleinschätzungen als Interpretation dafür herangezogen werden, dass Menschen Eigenschaften oder Ereignissen oft Bedeutungen zuweisen (bzw. unbewusst zu erkennen glauben), welche in Wirklichkeit nicht zusammenhängen oder nicht vorhanden sind. Nach Athenstaedt/Alfermann (2001) ist eine Funktion von Stereotype die soziale Wahrnehmung dadurch zu vereinfachen, dass Individuen in Schubladen gesteckt werden und auf Basis von Kategorienzugehörigkeit beurteilt werden.
Zur seriösen journalistischen Arbeit sollte es grundsätzlich dazugehören, sich eingehend mit einer Thematik auseinanderzusetzen, zu reflektieren, den aktuellen Stand der Wissenschaft nicht unbeachtet zu lassen und sich über die Wirkung des Geschaffenen im Klaren zu sein.
Transgeschlechtlichkeit, Transsexualität, Transidentität, transgender, nicht-binär, queer… Wer blickt da noch durch???
Geschlecht ist vielfältig, wie auch das Bundesverfassungsgericht am 10.10.2017 bestätigt hat, auch wenn es Teile der Gesellschaft noch nicht anerkennen wollen. Geschlecht ist „Mann“ und „Frau“, so wurde es zumindest viele Jahrhunderte in der Gesellschaft gesehen, war Inhalt von Religions- und Biologieunterricht. Doch Geschlecht ist nicht binär, es ist vielmehr eine Art analoge Skala[1], deren äußere Enden von den gesellschaftlich etablierten Geschlechtern „Mann“ und „Frau“ begrenzt wird. Dazwischen gibt es unendlich viele Varianten von Geschlecht. Doch wer soll das verstehen? Vor allem diejenigen, die ihre eigene Geschlechtszuweisung bei Geburt noch nie in Frage gestellt haben. Der Wunsch, alles möglichst einfach und simpel zu erklären ist verständlich. Und Journalist*innen oder Redakteur*innen wollen, dass alle, unabhängig von ihrem Wissensstand, ihrem Bildungsniveau oder ihrer persönlichen Einstellungen, den Inhalt deines Beitrages verstehen können. Doch diese Simplifizierung einer komplexen Thematik führt nicht selten dazu, dass Menschen dadurch diskriminiert und ausgegrenzt werden. Damit dem Auftrag einer guten und sachlich richtigen Berichterstattung nachgekommen werden kann, wurde dieser „Leitfaden“ geschrieben. Dieser Leitfaden soll nicht schulmeistern, er soll kein Zeigefinger erheben und er soll nicht anklagen. Er soll wichtige Informationen und Hilfestellung an die Hand geben um ein komplexes Thema zu verstehen und die Folgen einer „falschen“ Darstellung von trans und nicht-binären Menschen aufzeigen.
Es sei noch erwähnt, dass Transgeschlechtlichkeit, Transsexualität, Transidentität, transgender oder nicht-binär nichts mit der sexuellen Orientierung (hetero-, homo-, bi-, a- oder pansexuell etc.) eines Menschen zu tun hat, auch wenn die Personengruppe meist im Kontext von LGBTTIQ*[2] genannt wird. Es mag sein, dass Menschen, die sich selbst der Personengruppe LGBTTIQ* zuordnen, nahezu alle dieselben oder ähnliche gesellschaftliche Probleme haben. Die Grundthematik ist jedoch ein gänzlich andere.
International werden die Begriffe transgeschlechtlich, transsexuell, transident oder transgender in der Regel unter dem Begriff »transgender« oder »trans« zusammengefasst. Es ist jedoch manchmal sinnvoll, die Selbstaussagen einer Person, sie wäre »transsexuell«, »transident« oder »transgender« gleichberechtigt zu beschreiben, da sich die Blickwinkel und Bedürfnisse der jeweiligen Phänomene teilweise unterscheiden. Die Frage, ob sich ein Mensch mehr über seine körperliche bzw. leibliche Ebene (was vielfach Menschen, die sich selbst als transsexuell bezeichnen betrifft) oder über die soziale bzw. gesellschaftliche Ebene (z.B. transidenter Mensch oder transgender) erklärt, muss jeder Mensch für sich selbst beantworten und sind von Außenstehenden nicht zu bewerten. Beide Aspekte wirken gleichzeitig auf den Menschen ein und keine dieser geschlechtlichen Selbstaussagen ist mehr oder weniger trans oder gar echt oder unecht.
Als transgender bzw. transidente Personen bezeichnen sich vielfach Menschen, welche das ihnen bei der Geburt zugewiesen Geschlecht und die »klassischen«, gesellschaftlich damit verbundenen, cis- und heteronormativen Geschlechterrollen ablehnen. Für sie stehen medizinische Maßnahmen wie Hormontherapie oder genitalanpassende Operationen in vielen Fällen primär zur Angleichung an ihre gelebte Geschlechterrolle (soziales Geschlecht, gender) bzw. »Geschlechtsidentität« an. Es gibt auch die Variante der »nicht binären« Personen. Sie verorten sich vielleicht selbst zwischen den Geschlechtern »Mann« und »Frau« oder haben eine eigene Beschreibung für ihr Geschlecht. Viele nicht-binäre Personen finden die gesellschaftlich definierten binären Geschlechterrollen ganz oder teilweise für sich selbst nicht passend. Es gibt jedoch auch trans Personen, die eine binäre Einordung der Geschlechter in »Mann« und »Frau« für sich selbst als ausreichend, passend oder stimmig empfinden und lehnen deshalb ein binäres Geschlechtersystem oft nicht grundsätzlich ab. Sie sehen sich selbst z.B. als Menschen, deren anatomische Geschlechtsmerkmale von ihrem Geschlechtswissen abweichen, sie also in einem »falschen oder besser, nicht-passenden Körper« geboren wurden.
Alle diese geschlechtlichen Selbstaussagen eines Menschen zum eigenen Geschlecht sind für die jeweils betreffende Person zutreffend und müssen nicht zwingend auch für alle anderen trans oder nicht-binären Menschen zutreffend sein.
[1] Analoge Skala deshalb, weil die Übergänge stufenlos sind, siehe: Balk, L., 2015, „Abweichende Geschlechtsidentität – Prävalenz, Auswirkungen und Verhalten im beruflichen Umfeld“, S. 15
[2] LGBTTIQ* – lesbisch, schwul (gay), bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell, queer und der * für alle anderen, die nicht (oder noch nicht) aufgeführt sind